Zur historischen Entwicklung des Eichsfeldes
Am 28. Januar 897 wurde der Name des Eichsfeldes als „in pago eichesfelden“ erstmalig in einer schriftlichen Quelle genannt. In dieser Urkunde, die in Regensburg ausgestellt wurde, bestätigte Arnulf von Kärnten die Rechtmäßigkeit eines Gütertausches, der zwischen dem Abt Huki von Fulda und dem Grafen Konrad vorgenommen worden war. In diesem Dokument erscheint Diedorf („ditdorf“) als einziger noch heute zum Eichsfeld zählender Ort; unsicher ist die Identifizierung von „lengenfelt“ als Lengenfeld unterm Stein. Alle anderen hier erwähnten Orte bzw. heutigen Wüstungen (Ammern, Görmar, Emlinhusen und Dachrieden) liegen in dem Teil des einstigen Landkreises Mühlhausen, der nie zum Eichsfeld zählte.
Das Eichsfeld gehörte bis zum 6. Jahrhundert zum Thüringer Königreich. Nach der Schlacht an der Unstrut im Jahre 531 teilten sich die siegreichen Franken und die mit ihnen verbündeten Sachsen die eroberten eichsfeldischen Gebiete. Während der nördliche Teil sächsisch besiedelt wurde, kam es im westlichen und südlichen Eichsfeld zu starkem fränkischem Einfluss, woran die Sprachgrenze, die „Benrather Linie“, zwischen dem hoch- und dem niederdeutschen Dialekt erinnert, die etwa von Bischhagen bis südlich von Weißenborn-Lüderode durch das Eichsfeld verläuft.
Die sich ausdehnende fränkische Herrschaft brachte dem Eichsfeld im 8. Jahrhundert das Christentum sowie mit einem fränkischen Königshof bzw. einer bedeutenden erzbischöflichen Niederlassung und einer St.-Martins-Kapelle in Heiligenstadt einen ersten administrativen und kirchlichen Mittelpunkt. Archäologen legten 1994 mehrere Bauten auf dem Heiligenstädter Stiftsberg frei und gehen davon aus, zweifelsfrei jenen Ort lokalisiert zu haben, an dem sich bereits im 10. und 12. Jahrhundert deutsche Könige und Kaiser aufhielten.
Belegt ist ein solcher Besuch erstmals für das Jahr 973, als Kaiser Otto II. in „Heiligenstat“ die Bestätigung einer Schenkung an Bischof Abraham von Freising unterzeichnete. Dieses Datum ist auch die urkundliche Ersterwähnung Heiligenstadts. König Otto III. stellte im Jahr 990 zwei Urkunden in der Stadt aus. Für den 29. Mai 1153 und für den 1. Februar 1169 ist König bzw. Kaiser Friedrich I. (Barbarossa) in Heiligenstadt nachweisbar.
Ebenso wie diese Besuche sprechen auch die zahlreichen Aufenthalte deutscher Bischöfe – mindestens 18 zwischen 990 und 1300 – für die Bedeutung der Siedlung im Mittelalter. Insbesondere die Bischofsweihen durch die Erzbischöfe Willigis von Mainz in den Jahren 990 und 1000 und Bardo von Mainz im Jahr 1036 untermauern die Stellung Heiligenstadts im 11. und 12. Jahrhundert als nördlichstem und neben Erfurt wichtigstem Aufenthaltsort der Mainzer Erzbischöfe im heutigen Thüringen.
Im 11. und 12. Jahrhundert verfügten Thüringer und hessische, Wettiner und Welfenherzöge, aber auch die Klöster bzw. Stifte Hersfeld, Fulda, Corvey, Hildesheim, Quedlinburg u. a. über Besitz im Eichsfeld. Durch zahlreiche Schenkungen von Otto I. (912–973) und späteren Kauf und Tausch vereinten die Mainzer Erzbischöfe schließlich ihren Eichsfeldbesitz und festigten ihre geistliche Herrschaft in ihrer fernen Exklave damit auch territorial. Der Rusteberg kam um 1123, das Klostergericht Gerode 1124 und die Ämter Harburg und Worbis 1130 bzw. 1137 in den Besitz des Mainzer Kurfürsten Adalbert I.
1209 übertrug Kaiser Otto IV. an den einflussreichen Erzbischof Siegfried II., der um 1227 Heiligenstadt die Stadtrechte verliehen hatte, die wichtige Grenzburg Hanstein, und 1294 erwarb Gerhard II. von Mainz von den Herren von Gleichen die Burgen und Ämter Gleichenstein, Scharfenstein und Birkenstein. 1327 schenkte der Landgraf von Thüringen dem Erzstift die Burg (Bischof-)Stein. 1334 bis 1366 wurden die Stadt Duderstadt und die Goldene Mark erworben; 1392 und 1397 kamen die Ämter Gieboldehausen und Greifenstein hinzu. Nachdem 1434 das Amt Lindau und 1573 das Amt Bodenstein angegliedert worden waren, befand sich das gesamte heutige Eichsfeldterritorium in kurmainzischem Besitz.
Das von Mainz recht ferne Territorium wurde als „Kurfürstlich Mainzischer Eichsfelder Staat“ zwischen 1123 und 1540 von Viztumen bzw. Amtleuten und Landvögten auf dem Rusteberg, nach den Wirrnissen und Problemen der Reformation und des Bauernkrieges auf Veranlassung des Mainzer Kurfürsten Albrecht von Brandenburg durch Oberamtleute und Statthalter von Heiligenstadt aus verwaltet.
Nachdem die Eichsfelder bis auf die Einwohner von drei Dörfern der Lehre Martin Luthers gefolgt waren, organisierte Erzbischof Daniel Brendel von Homburg nach einer Eichsfeldvisitation im Jahre 1574 die „Gegenreformation“ unter dem Motto „cuius regio, eius religio“, wofür er eine Jesuitenniederlassung in Heiligenstadt gründen ließ. Deren erfolgreicher Einsatz bewirkte die Rückkehr der Mehrheit der Eichsfelder zum katholischen Glauben, sodass sich das Eichsfeld als Enklave mit eigener religiös geprägter Identität inmitten eines protestantischen Umfeldes entwickelte, die in ihrer besonderen Ausprägung auch erhalten blieb, als der Mainzer Kurstaat aufgelöst und seine Gebiete aufgeteilt wurden.
Die meisten Bräuche fanden ihre Wurzeln im gelebten katholischen Glauben. Das Eichsfeld gilt als „Wallfahrtsland in Deutschlands Mitte“, wo noch heute Wallfahrten und Prozessionen den Jahreslauf prägen.
Nach den Wirren des Dreißigjährigen Krieges mit furchtbarem menschlichem Leid in allen eichsfeldischen Orten, unvorstellbaren Verwüstungen und unermesslichen Schäden begannen die Menschen aufzuatmen und wieder aufzubauen, wovon mehr als 100 Kirchen sowie Benediktiner- und Zisterzienserklöster, Wohnhäuser und Wirtschaftsgebäude in Städten und Dörfern Zeugnis ablegen, bevor der Siebenjährige Krieg (1756–1763) abermals für Zerstörung und Schulden in beträchtlichem Umfang sorgte.
Bis zum Jahre 1802 war das Eichsfeld als Exklave des geistlichen Kurfürstentums Mainz dessen nördlichstes Besitztum mit einem zusammenhängenden Gebiet von etwa 1.180 km². In den Städten Heiligenstadt, Duderstadt und Worbis sowie 170 Dörfern lebten in sieben kurfürstlichen Ämtern und 15 adligen Gerichten über 80.000 Menschen.
Im Ergebnis der Festlegungen des Friedens von Lunéville (1801), in dem das Königreich Preu-ßen seine linksrheinischen Gebiete an Frankreich abtreten musste und dafür durch die Säkularisation geistlicher Territorien, u. a. mit dem Eichsfeld und den Städten Nordhausen und Mühlhausen entschädigt wurde, besetzten bereits am 2. August 1802 300 preußische Kürassiere und Jäger unter Führung des Generalleutnants von Wartensleben das Eichsfeld, und eine Zivilkommission begann in der kurfürstlichen Statthalterei, dem Heiligenstädter Schloss, mit der Etablierung der preußischen Behörden. Das Eichsfeld galt seit dieser Zeit als Fürstentum, denn es wird im Besitznahmepatent als „Erbfürstenthum auf ewige Zeiten“ bezeichnet. Verwaltungsmäßig gliederte man das Gebiet in einen Oberkreis (Heiligenstadt) und einen Unterkreis (Duderstadt).
Nach allgemeiner, gründlicher Bestandsaufnahme durch preußische Beamte wurde schon im Januar 1803, noch vor dem endgültig bestätigenden Reichsdeputationshauptschluss, mit der Auflösung des Zisterzienserklosters Reifenstein, der Benediktinerabtei Gerode und des St.-Martins-Stiftes in Heiligenstadt begonnen, worauf weitere einschneidende Veränderungen hinsichtlich traditioneller Rechte der Eichsfelder Stände, der Besetzung amtlicher Stellen und steuerlicher Forderungen folgten.
Nach dem Sieg Napoleons bei Jena und Auerstedt im Oktober 1806 kam das Eichsfeld an das Königreich Westphalen, und Heiligenstadt wurde zur Hauptstadt des Harzdepartements mit dem Sitz der Königlichen Präfektur. Dieser „Modellstaat nach französischem Muster auf deutschem Boden“ fand 1813 sein Ende mit der Völkerschlacht bei Leipzig, in deren Folge der Wiener Kongress 1815 die europäischen Territorien völlig neu ordnete.
Preußen erhielt zwar das gesamte Eichsfeld zugesprochen, musste aber die Stadt Duderstadt mit den 15 zur Stadt gehörenden Dörfern sowie die Ämter Lindau und Gieboldehausen an das Königreich Hannover abtreten.
Das übrige Eichsfeld gliederte man 1816 neu, indem man es dem Regierungsbezirk Erfurt der Preußischen Provinz Sachsen angliederte, die Kreise Heiligenstadt („Obereichsfelder Kreis“) und Worbis („Untereichsfelder Kreis“) schuf, 16 Eichsfelddörfer an den Kreis Mühlhausen abgab und vom Fürstentum Schwarzburg-Sondershausen die Gerichte Allerburg und das Amt Großbodungen, das kurhannoversche Rüdigershagen sowie das kursächsische Zaunröden für den Kreis Worbis erwarb.
Infolge der Annektion des Königreichs Hannover durch Preußen gehörte das nördliche Eichsfeld ab 1866 zum Kreis Osterode, von dem 1885 der Kreis Duderstadt im Regierungsbezirk Hildesheim der Preußischen Provinz Hannover abgetrennt wurde.
Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs vollzogen sich außer einigen Grenzregulierungen zwischen einzelnen Gemeinden nur unwesentliche Gebietsänderungen.
Nachdem die Amerikaner Anfang April 1945 das Eichsfeld besetzt und Ende Juni wieder verlassen hatten, gehörten das heutige thüringische Gebiet zur sowjetischen und die heute niedersächsische Region zur britischen Besatzungszone.
Die Zweite Verordnung über die Kreiseinteilung des Landes Thüringen bestimmte am 8. August 1945 die Zusammenlegung der Landkreise Heiligenstadt und Worbis unter dem Namen „Landkreis Eichsfeld“. Am 17. September 1945 wurden im Ergebnis des Wanfrieder Abkommens die Eichsfeldorte Werleshausen und Neuseesen der amerikanischen Zone angegliedert, wofür die hessischen Orte Asbach, Sickenberg, Vatterode und Weidenbach zum Landkreis Eichsfeld kamen. Mitte 1946 wurden auf Anordnung der sowjetischen Militäradministration 20 Gemeinden des Altkreises Worbis an den Kreis Nordhausen abgetreten.
Vom 30. September 1946 bis 23. Juli 1952 trug der Eichsfeldkreis die Bezeichnung „Landkreis Worbis mit Sitz in Heiligenstadt“.
Als 1952 das Land Thüringen in die Bezirke Erfurt, Gera und Suhl aufgeteilt wurde, teilte man den „Eichsfeldkreis“ wieder in die Kreise Heiligenstadt und Worbis auf, führte die abgetretenen Gemeinden vom Kreis Nordhausen im Wesentlichen an den Kreis Worbis zurück und gliederte diesem auch einige bisher zum Kreis Mühlhausen zählende Eichsfeldorte an.
Im Zuge der Kreisreform von 1972 kam der Kreis Duderstadt mit seinen etwa 30 Orten zum neuen Großkreis Göttingen, nur Lindau im äußersten Norden des Eichsfeldes gehört seither dem Kreis Northeim an.
Die Demarkationslinie zwischen sowjetischer und britischer Besatzungszone von 1945, die etwa dem historischen Grenzverlauf zwischen Ober- und Untereichsfeld folgte, entwickelte sich zur Interzonengrenze und schließlich im Jahr 1949 zur deutsch-deutschen Staatsgrenze, deren lang ersehnte Öffnung 1989 von den Eichsfeldern begeistert begrüßt wurde.
Nach der Wiedervereinigung und der Schaffung des Landes Thüringen im Jahre 1990 wurden durch die nachfolgende Gebietsreform die Kreise Heiligenstadt und Worbis mit Kreissitz in Heilbad Heiligenstadt per 1. Juli 1994 als Landkreis Eichsfeld zusammengeschlossen.
Text sowie alle Fotos und Reproduktionen:
Josef Keppler
Verein für Eichsfeldische Heimatkunde